SCH: In unserem Projekt geht es um die Firma Burckhardt, die Martin Heinrich Burckhardt gegründet hat und du entscheidend mitgeprägt hast. Nun möchten wir nach unserem 72-jährigen Bestehen eine historische Erzählung schreiben, damit die wertvolle Vergangenheit erhalten bleibt und auch zukünftige Mitarbeitende bei Burckhardt die DNA und die Werte der Firma besser verstehen können.
CI: Dazu möchten wir mit diesem spannenden Projekt versuchen, die verschiedenen Epochen von Burckhardt und den jeweiligen Zeitgeist einzufangen und festzuhalten. Dafür durchforsten wir das Archiv von Burckhardt, aber uns interessiert natürlich auch, was nicht in den Dokumenten zu finden ist. Wir freuen uns deshalb auf die Interviews mit jenen Personen, die federführend bei Burckhardt waren und hoffen, dass wir Dinge erfahren, die die Bauten und Häuser vielleicht nicht preisgeben und über die du uns heute aus deiner ganz persönlichen Sicht erzählen magst.
SCH: Nach dem Ende meiner Arbeitszeit bei Burckhardt vor sechs Wochen haben mir meine Partner die schöne Aufgabe gegeben, das reiche Wissen der Vergangenheit der Firma mit diesem Projekt zu erhalten und dafür alle diese Beziehungen, wie beispielsweise zu dir, zu knüpfen. Denn es ist extrem wertvoll zu wissen, was und wer die Firma geprägt und was sie so erfolgreich gemacht hat. An dieser Stelle bist du natürlich eine der wesentlichen Personen, die uns mehr erzählen kann, und nicht zuletzt auch, weil du Martin persönlich gekannt und mit ihm gearbeitet hast.
GD: ... und ihn bekämpft habe.
SCH: Ja, das auch, aber zusammen wart ihr extrem erfolgreich, auch wenn ihr nicht immer gleicher Meinung wart. Du hast Martin sehr gut gekannt, aber auch Edi Bürgin und Timmy Nissen. Und heute möchten wir uns ein wenig mit dir über diese Zeiten unterhalten.
CI: Lieber Guido, herzlichen Dank, dass du uns bei diesem Projekt unterstützt. Welche Bedeutung hatte Burckhardt denn in deinem Berufsleben, welche im privaten Leben?
GD: Ich wusste eigentlich immer: Wenn es der Firma gut geht, geht es auch mir persönlich gut, und umgekehrt. Als ich von Paris zurück nach Basel und 1962 zu Burckhardt gekommen bin, wurde ich gleich Partner. Mir war sofort bewusst, was das bedeutet, und habe meine Rolle ernst genommen.
Ich habe aber auch einfach immer gerne gearbeitet. Dabei war mir das «Wie» nicht so wichtig, sondern mehr, dass es immer vorwärtsging. Dafür habe ich gerne Verantwortung übernommen. Anfang der 1980er-Jahre ist Samuel Schultze zu Burckhardt gekommen, und wir haben gemeinsam eine Broschüre herausgegeben. Der Leitsatz darin ist für mich immer noch gültig und beeindruckend: «Wir gestalten gemeinsam unsere bauliche Zukunft.» (1982).
CI: Was verbindest du mit dem Wort Burckhardt?
GD: Eine ganze Welt! Eine ganze Welt, in der es möglich ist, alles zu erleben, was man erleben kann – Gutes und Schlechtes. Martin Burckhardt war eine Kraft, ein Mensch mit einem aussergewöhnlich weiten Horizont und grossen Ideen, wie man sich das fast nicht vorstellen kann. Ideen, die wichtiger und grösser waren als das, was am Ende gebaut wurde. Aber am Schluss wurde immer etwas Gutes gebaut, so viel kann ich sagen.
SCH: Apropos positiv: Du hast mich immer dazu ermutigt, Dinge positiv zu formulieren. Das ist mir geblieben. Es ist erstaunlich, was den Leuten manchmal im Gedächtnis hängen bleibt – scheinbar unwichtige Aussagen, die aber Bedeutung für manche haben und die einen nicht unberührt lassen; so ging es mir mit dir jedenfalls.
GD: Ja, ich habe mich immer dafür eingesetzt, positiv zu bleiben, auch für den Zusammenhalt. Es gab Momente, da waren die Mitarbeitenden frustriert. Beispielsweise, wenn bereits weit entwickelte Projekte zurückgepfiffen und Martin erst spät dazugeholt wurde. Das hat zu Frustration geführt, und ich erinnere mich noch genau an den einen oder anderen solchen Fall im Zusammenhang mit Peter Epting. Da wurden Martin und ich dann schon auch laut miteinander. Ich habe mich aber stets dafür eingesetzt, dass nicht vergebens oder ins Leere gearbeitet wurde.
Heute erscheinen mir all diese Dinge als Kleinigkeiten, aber damals flogen die Fetzen. Trotzdem habe ich Martin immer bewundert, obwohl er manchmal ein sturer Mensch war.
CI: Wie würdest du dann den folgenden Satz beenden? «Martin Burckhardt war ...»
GD: «... ein Genie.» Martin war ein Genie, ein toller und schwieriger Mensch, den ich auf viele Arten bewundert habe. Ich denke, wir haben uns gegenseitig bewundert. Er war auch ein sehr empfindlicher Mensch, er konnte aufbrausend sein, und manche Kollegen hatten auch ein wenig Angst davor, ihm zu sagen, was sie gerne gesagt hätten. Aber ich konnte ihm schon die Stirn bieten. Denn er sah auch, dass ich gewisse Fähigkeiten und Qualitäten mitbrachte, die er selbst nicht hatte und wo wir uns gegenseitig ergänzen konnten. Ich habe vielleicht Dinge manchmal ganzeinheitlicher gesehen als er, obwohl er selber sehr weit sehen konnte.
Sein Tiefgang und seine Weitsicht in Bezug auf die Architektur waren enorm.
Guido Doppler
SCH: Auch wir stellen heute immer wieder fest, dass Martin Burckhardt in vielem wegbereitend und weitsichtig war. Dass er beispielsweise schon in den 1970er-Jahren die Begrünung der Stadt gefordert hatte. Eines von zahlreichen Beispielen oder Themen, die heute wieder aktueller sind denn je. Martin Burckhardt war seiner Zeit teilweise wirklich weit voraus.
GD: Das war er. Und deswegen haben wir uns auch vor den Zeiten gefürchtet, in denen er einmal nicht mehr da sein und das Geniale fehlen würde.
CI: Und hat es denn gefehlt, als er weg war?
GD: Ja, denn sein Tiefgang und seine Weitsicht in Bezug auf die Architektur waren enorm, aber auch der kulturelle und gesellschaftliche Aspekt, den er mit- und eingebracht hat, war beeindruckend. Ich habe mich immer gefragt, was wir machen sollen, wenn das alles einmal nicht mehr da sein würde. Am Ende konnte ich das dann alles gut zusammenhalten, indem ich den gesamten administrativen Teil übernommen und die Struktur und Organisation reingebracht habe. Mir wurde aber auch bewusst, dass man nicht alles ersetzen muss, was mit ihm verloren gegangen war.
CI: Welche Zeiten waren sonst noch herausfordernd?
GD: Herausfordernde Zeiten waren immer jene der Ungewissheit. Beispielsweise wollte ich irgendwann einmal wissen, ob das alles überhaupt rentierte oder ob wir nur Geld ausgeben und ins Nichts arbeiteten. Also bin ich auf direktem Weg zu unserem Finanzverantwortlichen Herrn Eckert gegangen und habe nachgefragt. Er konnte mir allerdings keine richtige Antwort geben. Egal, wen ich fragte, niemand konnte genau sagen, wo wir aktuell standen. Das war belastend. Ich habe dann kurzerhand selbst eine Weiterbildung in Brüssel im Accounting absolviert, um all diese Dinge zu lernen und mir den Überblick zu verschaffen. Danach habe ich mich voll und ganz auf das Wesentliche fokussiert, auf das, was wirklich gebraucht wurde, und Martin hat sich auf das Gestalterische konzentriert. Ich habe auch dafür gesorgt, dass das von den Leuten wahrgenommen wird, dass sie spüren, dass wir einen Plan haben und gemeinsam vorwärtskommen wollen. Denn mir war auch wichtig, dass die Gewinne nicht bloss bei den Partnern bleiben, sondern mit all jenen geteilt werden, die sie miterwirtschaftet hatten, also auch mit den Mitarbeitenden.
Ich habe immer versucht, die Eigenverantwortung, Kreativität, aber auch Verbindlichkeit von Mitarbeitenden zu fördern.
Guido Doppler
SCH: Für mich ist das alles sehr spannend, denn die Themen, die uns heute beschäftigen, sind immer noch genau dieselben wie damals. Ich selber wollte auch immer gestalten, habe aber gemerkt, dass ich bei gewissen Themen, die du auch angesprochen hast, gebraucht werde. Ich habe dann auch einen Management-Kurs am Wirtschaftszentrum in Basel besucht, weil ich einfach zu wenig wusste, um eine Firma führen zu können. Aber ich denke, du hast auch intuitiv einfach vieles richtig gemacht, besonders bei der Personalführung, allgemein bei der Führung von Menschen. Du bist schon ein Menschenfreud, oder?
GD: Ja, das bin ich.
CI: Was würdest du sagen, welche Werte hast du für die Firma geschaffen?
GD: Mir ging es immer darum, dass man eigene Ideen entwickeln darf. Ja, sogar entwickeln muss. Ich habe immer versucht, die Eigenverantwortung, Kreativität, aber auch Verbindlichkeit von Mitarbeitenden zu fördern. Ich konnte den Leuten immer gut dabei helfen, ihr Potenzial auszuschöpfen, es richtig einzusetzen und wenn nötig zu erweitern.
Der Mensch stand immer im Zentrum unserer Arbeit.
Guido Doppler
SCH: Ich selbst habe immer versucht, den Mitarbeitenden zu vermitteln, dass wir nicht nur den spannendsten Beruf haben, sondern auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft tragen. Denn wir beeinflussen die Umwelt, wir gestalten Lebensraum, und unsere Arbeit ist sichtbar und hat eine Haltbarkeit über viele Jahrzehnte hinweg. Das alles bringt eine Verantwortung mit sich.
GD: Die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft war tatsächlich immer ein wichtiges Credo für uns, besonders für Martin Burckhardt. Der Mensch stand immer im Zentrum unserer Arbeit. Und ich wollte, dass auch das Team und unsere Partner, interne und externe, das spüren.
CI: Welche Bedeutung haben die Begriffe Teamgeist und Partnerschaft für dich?
GD: Eine sehr wichtige. Für die Firma, aber auch für mich. Beispielsweise war ich ein wenig enttäuscht, als Edi Bürgin und Timmy Nissen mir damals mitgeteilt haben, dass sie die Firma verlassen würden, und mich gefragt haben, ob ich mitkomme. Ich konnte diesen Entscheid überhaupt nicht nachvollziehen und bin natürlich nicht mitgegangen. Auch wenn ich sie mochte, habe ich ihnen klar gesagt, dass ich ihren Beschluss unschön fand. Ich habe Martin Burckhardt wieder dafür bewundert, dass er sich immer für Partnerschaft und Zusammenhalt eingesetzt hatte, und konnte ihm das nicht antun, die Firma mit den beiden zu verlassen. Daraufhin rückten Martin und ich näher zusammen und wurden Freunde.
SCH: Weisst du, weshalb die beiden gegangen sind?
GD: Martin Burckhardt hat den beiden sehr viel reingeredet. Mir zum Glück nicht, was aber nicht heisst, dass wir nicht auch oft Auseinandersetzungen hatten. Denn die hatten wir, und ich musste auch oft auf den Tisch hauen.
SCH: Als ich als junger Architekt dazugestossen bin, hast du mir damals gesagt, dass wir die Architektur wieder verbessern und uns entwickeln müssten, aber auch auf junge Architekten setzen sollten. Und es war dir wichtig, dass, nachdem du dich lange sehr stark um das Betriebswirtschaftliche und die Organisation gekümmert hattest, die Qualität der Architektur zukünftig nicht verloren gehen würde.
CI: Was bedeutet Architektur für dich?
GD: Architektur ist unbeschreiblich. Denn nicht nur der Bau an sich ist wichtig, sondern das, was er ausstrahlt. Und diese Ausstrahlung muss man gestalten.
Wir haben mit unseren Bauten auch Themen vorweggenommen, die noch heute sehr aktuell sind. Beispielsweise in Sachen Flexibilität – wir hatten immer grosse Spannweiten, um Flexibilität zu gewährleisten.
Guido Doppler
CI: Welche Meilensteine oder Projekte stehen bezeichnend für deine persönliche Zeit bei Burckhardt?
GD: Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Es gibt ja auch Häuser, die nicht ich gebaut habe, aber die ich bis ins Detail geprüft und zu denen ich meine Einschätzung gegeben habe. Auch habe ich oft darauf geachtet, dass Arbeiten mit Sorgfalt und Pünktlichkeit erledigt wurden. Das war auch immer ein wichtiger Teil und wurde geschätzt.
Wir haben mit unseren Bauten auch Themen vorweggenommen, die noch heute sehr aktuell sind. Beispielsweise in Sachen Flexibilität – wir hatten immer grosse Spannweiten, um Flexibilität zu gewährleisten. Beispielsweise bei den Labors der Chemie, wo sich noch heute an den älteren Bauten ausgefeilte Konzepte ablesen lassen. Die waren gut, und ich habe damals eigentlich nur bedauert, dass wir so hoch bauen mussten, denn ich hätte flach immer besser gefunden.
Der Aufbau des Standorts Zürich war sicher eines der wichtigsten Gesamtprojekte für mich. Das hat mir grossen Spass gemacht.
SCH: Du hattest in Zürich sogar einen Schleudersitz im Büro, was hatte es damit auf sich?
GD: Ja, ich hatte tatsächlich so einen Schleudersitz in meinem Büro. Ich war ja auch Pilot und habe den mal aus einem Flugzeug mitgebracht und in meinem Büro platziert, gegenüber von meinem Schreibtisch. Jedenfalls hat man sich dann erzählt, wenn man bei mir im Büro darauf Platz nehmen müsse, wäre etwas nicht mehr gut, und deshalb hatten sie dann alle Angst. Da wurde man natürlich nicht rauskatapultiert, aber ein wenig Spass musste immer auch sein.
CI: Was waren die aussergewöhnlichsten Wendungen oder Entwicklungen, die du während deiner Zeit bei Burckhardt erlebt hast?
GD: Wegen der Ölkrise während der 1970er-Jahre wurde allgemein nicht mehr gebaut, da erlebten auch wir eine Krise und erhielten keine Aufträge mehr. Das war eine schlimme Zeit. Als Massnahme habe ich alle ins Tessin nach Bigorio eingeladen, mit der Aufgabe, dass alle sich überlegen sollten, wie wir wieder aus dieser schwierigen Lage kommen könnten.
Es sind auch viele Vorschläge gekommen, allerdings waren alle unbrauchbar. An dieser Stelle habe ich eingehakt und betont, dass wir, wenn wir existieren wollen, den bestehenden Markt einnehmen und dominieren müssen. Daraus ist dann die Idee zum Standort Zürich entstanden, denn Basel allein war zu klein für unsere Grösse. Zusammen mit dem damaligen Bauexperten aus Zürich, Theo Hotz, und meiner rechten Hand Willi Sager habe ich mich dieser Herausforderung gestellt. Ohne Letzteren hätte ich das alles nicht geschafft. Schliesslich haben wir aus einer Krise eine Chance geschaffen und in Zürich richtig grosse Projekte realisiert. Es ist mir sogar gelungen, als Basler in Zürich Fuss zu fassen, das war die eigentliche Herausforderung.
SCH: Burckhardt hat ja auch international gebaut, beispielsweise für die Sandoz in Paris oder Barcelona, aber auch in den USA für die Ciba-Geigy oder die UBS. Wie sehr warst du da involviert?
GD: Beim Projekt für die UBS in New York war ich sehr involviert, bei anderen Projekten bin ich eher später hinzugezogen worden, als sie schon am Laufen waren. Auch in Wien habe ich eine Zeit lang gewirkt, mit Professor Lippert, aber wir haben am Ende beschlossen, Wien an ihn zu verkaufen. Das war ein guter Entscheid.
Sogar eine griechische Insel wollten wir einmal vermessen, zusammen mit Paul Waldner. Es hat zwar am Ende nicht viel dabei rausgeschaut, aber es war ein tolles und vor allem hochinteressantes Projekt. In Afrika haben wir ein Spital gebaut. Und aus Afrika habe ich immer viel Inspiration mitgenommen, sowohl beruflich als auch privat. Aber eine richtige internationale Strategie hat es nie wirklich gegeben. Es war eher so, dass wir dort gebaut haben, wo uns unsere internationalen Partner gebraucht und sich Gelegenheiten angeboten haben.
CI: Worauf bist du stolz?
GD: Ich habe immer dafür gesorgt, dass es die Leute gut haben, die mit mir arbeiten, und dass sie Wertschätzung erfahren. Es war mir immer sehr wichtig, dass Mitarbeitende spüren, dass es nicht bloss um einen Job geht, sondern dass sie teilhaben und mitwirken können, aber auch Verantwortung übernehmen dürfen.
CI: Was hättest du dir zu Beginn deines Arbeitslebens nicht im Traum vorstellen können, was später Realität wurde?
GD: Eigentlich alles, was ich bei Burckhardt erlebt habe. Es kam wirklich alles immer total anders, als man sich das vorgestellt hatte. Aber es kam immer besser, das ist das Wichtigste.
CI/SCH: Das ist ein schöner Schlusssatz. Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch mit dir, Guido.
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