CI: Was bedeutet das Wort Burckhardt für dich?
SCH: Ein ganzes Arbeitsleben. Eine Identifikation, die zuerst nicht so stark war, denn Burckhardt war ursprünglich nicht meine Wunschdestination.
CI: Welche war deine Wunschdestination?
SCH: Ich wollte zu Herzog & de Meuron, das war 1985. Ich habe damals Pierre de Meuron angerufen und gefragt, ob er einen Job für mich hätte. Aber er verneinte, weil sie zu dieser Zeit zu wenig Arbeit hatten und niemanden einstellen konnten. Er verwies mich an Pierre Schär von Burckhardt, dort würde man Leute suchen. Also habe ich Pierre Schär angerufen und habe mich mit ihm getroffen. Wir sind uns dann sehr schnell handelseinig geworden. Er musste noch kurz Hans Riedi fragen, der damals die Abteilung Industrie leitete. Ich wurde an die Peter Merian-Strasse zum Kennenlernen eingeladen und Hans Riedi frage mich, ob ich auch Industriebauten machen würde. Ich habe geantwortet, dass ich das zwar noch nie gemacht hätte, aber ich es mir vorstellen könnte, und darauf entgegnete er, dass ich somit eingestellt wäre. Mein Verhältnis zu Burckhardt hat sich dann bald verändert: Ich war immer ein wenig kritisch, aber auch ein wenig der Hofnarr. Das heisst, ich hatte schnell eine Position, in der man mir etwas zugetraut hat, weil man aufgrund meiner Leistung gesehen hatte, dass ich was taugte. Zudem konnte ich mir erlauben, gewisse Dinge zu äussern, weil ich nicht in der Verantwortung war, aber dennoch in einer Position der Stärke, sodass ich wie ein Hofnarr auf Dinge hinweisen konnte.
CI: Buchstäbliche Narrenfreiheit.
SCH: Ja, tatsächlich hatte ich Narrenfreiheit und habe dann auch abgelehnt, Partner zu werden, als ich ein erstes Mal angefragt wurde. Ich hatte damals den Eindruck, dass die Firma noch nicht gut genug gut aufgestellt sei und dass man mehr in Architektur und kulturelle Themen investieren müsste. Ein Jahr später wurde ich dann aber Partner, denn man versuchte inzwischen, meine Kritik ernst zu nehmen. Zudem gab es damals noch keine Selektion betreffend Nachfolge wie heute, sondern der Vorgänger hat einfach seinen Nachfolger bestimmt. Wie Hans Riedi bei mir, denn er wollte bereits 1993 mit 54 Jahren in Rente gehen und hat mir dann einfach irgendwann mitgeteilt, dass ich nun seinen Job ausführen solle, da war ich gerade mal 35 Jahre alt.
CI: Wie ging es dann weiter?
SCH: Mein Plan war, dass ich bei Burckhardt grössere Projekte umsetzen und danach weiterziehen würde. Ich konnte dann auch grosse Projekte umsetzen wie beispielsweise grosse Büro- oder Pharmaproduktionsgebäude. Themen, die mir anfangs völlig fremd waren und in die ich mich auch zuerst einarbeiten musste, was spannend war. Aber ich hatte auch immer viele kompetente Leute um mich rum, von denen ich lernen konnte. Und so bin ich geblieben und nicht wie geplant weitergezogen.
CI: Welche Bauten haben deine Zeit bei Burckhardt geprägt?
SCH: Das wichtigste Gebäude war jenes auf dem Areal Rosental, das Gebäude R-1008. Das war eine Erweiterung einer Masterplanung aus den frühen 1960er-Jahren, die dann 1988 bis 1990 fertiggestellt wurde: eine modernere Interpretation dieser Gebäude mit Sichtbetonfassaden und vier zweigeschossigen Hallen. Sie waren übereinandergestapelt und brandschutztechnisch sehr anspruchsvoll und besassen aus meiner Sicht erstmals wieder einen architektonischen Anspruch. Denn Letzteren hatte ich bei Burckhardt in den 1980er-Jahren mehrheitlich vermisst.
Früher, in den 1950er- bis 1970er-Jahren, hatte es spannende Projekte gegeben, die eine eigene Handschrift besassen, bei denen ein Linie erkennbar war, eine gewisse Rationalität und Funktionalität und eben mit einem starken architektonischen Anspruch. Und das ging irgendwann verloren, weil Martin Burckhardt sie selbst nicht mehr liefern konnte und dazu auch eine relativ dominante Person war, die neben sich keine anderen guten Architekten dulden konnte. Das hatte zur Folge, dass solche Architekten sich entweder zurückzogen oder in andere Firmen wechselten. Das war dann etwa die Phase des Postmodernismus, verbunden mit relativ wenig Ambitionen. Darauf folgte dann in den 1990er- und 00er-Jahren der Versuch, wieder vermehrt architektonische Zeichen zu setzen und einen architektonischen Wert zu generieren.
CI: Du selbst warst rund vier Jahrzehnte bei Burckhardt tätig, wie würdest du alle sieben Jahrzehnte von Burkhardt in wenigen Worten beschreiben?
SCH: Ja, bei mir waren es insgesamt 38 Jahre. Ich würde die einzelnen Jahrzehnte zusammenfassend so umschreiben:
1950er-Jahre: erfolgreiche Gründerphase
1960er-Jahre: Stabilisierung im Chemie- und Pharmabereich auf einem hohen architektonischen Level
1970er-Jahre: Brutalismus mit viel Beton
1980er-Jahre: architektonische Suche
1990er-Jahre: Einleitung einer Wende
2000er-Jahre: positiver Einfluss von Heinz Moser in Zürich mit gradliniger Glasarchitektur und Fassadenbegrünung
2010er-Jahre: Stabilisierung auf breiter Basis und Anspruch an Architekturqualität
Hinzu kommen dann die unternehmerischen Meilensteine wie die Gründung der AG und die Einführung der Partner sowie der grosse Einschnitt mit dem Weggang von Edi Bürgin und Timmy Nissen. Dies spürte man dann in den 1980er-Jahren, denn der architektonische Input kam nicht allein von Martin Burckhardt, sondern auch von den beiden, und deswegen hinterliess ihr Weggang auch in der Architektur von Burckhardt Lücken.
Ein weiterer Einschnitt war die Ölkrise, auch in Bezug auf die Anzahl Mitarbeitenden, deren Entlassung Martin und anderen sehr naheging. Das kann man sich wahrscheinlich auch nicht richtig vorstellen, wie das damals war. Ich selbst habe Burckhardt auch eigentlich nur erlebt, als es mehrheitlich bergauf ging. Als Babyboomer war man in einer Zeit tätig, in der es konstant bergauf ging. Die Ölkrise habe ich nicht miterlebt, und ich sehe es als Privileg, in einer Zeit tätig gewesen zu sein, in der es nicht immer schwierig oder anspruchsvoll gewesen ist. Ein weiterer wichtiger Schritt war dann auch der Aktionärsbindungsvertrag, der aus den ehemals vier Partnern mehrere Partner und zwei weitere Kategorien von Beteiligten machte.
Ein wesentlicher Bestandteil von Burckhardt ist deshalb der Umstand, dass Burckhardt den Mitarbeitenden und nicht Externen gehört. Zudem konnten alle Entscheide immer zugunsten einer prosperierenden Entwicklung gefällt werden und waren nicht einer kurzfristigen Gewinnmaximierung geschuldet. Anfang der 1990er-Jahre ging es uns wirtschaftlich auch nicht so gut, und die Stadt Basel erlebte eine Stagnation mit einer eher zurückhaltenden Stimmung. Die Stadt war damals überhaupt nicht ambitioniert unterwegs, so wie man es heute kennt. Ich habe diese Zeit als lähmende Schwere empfunden, durch die man sich ein wenig durchgekämpft hat. Danach ging es aber dann immer bergauf, und es entsprach auch meinem Anspruch, dass man als Architekt wieder ernst genommen würde, denn lange Zeit hatte Burckhardt den Ruf, «schön und teuer» zu sein, gehabt, aber «schön» bedeutet in der Architektur eben nicht automatisch Qualität.
CI: Was bedeutet denn Architektur für dich?
SCH: Die Umsetzung räumlicher Bedürfnisse. Das heisst, die Auseinandersetzung mit den Fragen, wie man angenehmer und besser wohnen, arbeiten und natürlich auch die Freizeit verbringen kann. Für mich ist es entscheidend, dass man als Architekt Räume und Gebäude schafft, die nicht nur einer gewissen Ästhetik entsprechen, sondern auch Gefühle auslösen können. Ausserdem empfinde ich es als unglaubliches Privileg, Architektur zu machen, denn das Arbeitsresultat ist nicht nur sichtbar, sondern wird bewohnt, belebt und genutzt. Deswegen unterliegt der Beruf auch einer riesigen Verantwortung, denn mit dem, was Architekten entwerfen, müssen die Nutzer dann leben und klarkommen.
Und ich bin überzeugt, dass Architektur immer einen Bezug zur Kunst und Kultur hat. Ich denke, wenn man diesen Zusammenhang nicht erkennt und die Architektur nur auf den reinen Bauprozess reduziert, ist das zu wenig. Denn Architektur ist ein Teil der bildenden Kunst, und deswegen kommt man nicht darum rum, sich auch mit ihren kulturellen Geschwistern und deren aktuellen Tendenzen auseinanderzusetzen. Denn alle nähren und inspirieren einander gegenseitig in einer ständigen Wechselwirkung.
CI: Wie würdest du den folgenden Satz beenden? «Martin Heinrich Burckhardt war ...»
SCH: Mein Bild von ihm ist ja nicht so ausgeprägt wie das der anderen Interviewpartner. Ich denke aber, er war eine unglaublich starke Persönlichkeit und tatkräftig, denn er war getrieben davon, etwas umzusetzen. Zudem war sein Bezug zur Kunst und Kultur ein wichtiger Aspekt und machte auch seine Persönlichkeit aus. Wie gesagt, ich hatte nicht so viel direkt mit ihm zu tun. Aber ich erinnere mich noch an einen Moment, als ich noch ein junger Architekt war: Damals wurde ich zu einem Seminar in Bigorio im Tessin eingeladen. Dort kamen alle wichtigen Burckhardt-Partner-Leute zusammen, und ich weiss noch, dass ich mich völlig fehl am Platz gefühlt habe. Wir haben dann einen Film nach dem anderen über postmoderne Architektur geschaut. Und als Paul Waldner nochmals einen weiteren Film dazu abspielen wollte, habe ich angemerkt, dass wir als Architekten uns das nicht nur alles unkommentiert anschauen und konsumieren sollten, sondern auch über das Gesehene sprechen und uns austauschen sollten. Danach herrschte eine Totenstille in diesem Tessiner Kloster. Und als niemand etwas sagte, musste ich weiter argumentieren und meine Beweggründe darlegen, warum dieser Austausch wichtig wäre und was das alles für unsere Arbeit bedeuten würde und so weiter. Darauf meldete sich Martin Burckhardt zu Wort und meinte bloss: «I glaub, dä jungi Maa het rächt.» Das war dann so etwas wie ein «Ritterschlag» von ihm. Seit diesem Moment hatte ich einen anderen Stand innerhalb von Burckhardt.
CI: Woraus besteht die Burckhardt’sche DNA?
SCH: Was Burckhardt auszeichnet, ist, dass man bedürfnisgerecht plant und realisiert. Dass man für die Nutzerinnen baut und nicht, um sich selbst ein Denkmal zu setzen. Dass man sich auch als Dienstleister und nicht primär als Künstler sieht. Denn Architekten, die sich als Künstler sehen, bezeichnen sich nicht als Dienstleistende. Aber auch bei Dienstleistern gibt es unterschiedliche Arten, und es geht in der Architektur um Bedürfnisse und wie man auf diese sowohl fachlich als auch gestalterisch kompetent reagieren kann.
Neben der DNA des Dienstleisters sehe ich auch das breite Spektrum bei Burckhardt, von der Immobilien- und Arealentwicklung über die Planung bis zur Umsetzung, alles auf einem hohen Level und die Komplexität beherrschend. Dies alles fordert jeweils eine gute Zusammenarbeit und ein Miteinander. Das bedingt, dass alle Involvierten gut informiert sind und gut aufeinander abgestimmt zusammenarbeiten.
Ich bin überzeugt, dass Burckhardt das alles auch bereits in der Gründerzeit so gemacht hat: komplexe Projekte in einem starken Team umgesetzt hat, mit einem klaren Fokus auf der Funktionalität mit einem hohen gestalterisch-konstruktiven Anspruch. Und auch wenn das vorübergehend vielleicht verloren ging, hat man es geschafft, dies zu korrigieren und wieder zu diesem architektonischen Anspruch zurückzufinden.
CI: Mal mehr dienstleistender Künstler, mal mehr künstlerischer Dienstleister.
SCH: Ja, genau, das ist wunderbar zusammengefasst. Ich denke auch, dass das Ziel sein muss, dabei ein Gleichgewicht zu halten. Dass man den Anspruch hat, mehr zu sein als ein Dienstleister, aber auch die Demut, zu wissen, dass man nicht bloss Künstler ist, sondern eben auch Dienstleister.
Für jede Aufgabe und jedes Problem gibt es verschiedene, kreative Wege, um sie zu lösen.
Samuel Schultze
CI: Welche Erkenntnisse hast du sonst noch aus den 38 Jahren bei Burckhardt mitgenommen?
SCH: Dass es wichtig ist, die richtigen Mitarbeitenden zu haben. Das sind zum einen lösungsorientierte und kreative Menschen. Mein Begriff von Kreativität geht dabei aber auch weit über den reinen gestalterischen Aspekt hinaus, denn für jede Aufgabe und jedes Problem gibt es verschiedene, kreative Wege, um sie zu lösen. Weiter sind dies neugierige Menschen und solche, die neugierig sind auf Veränderungen und Entwicklungen und über den Tellerrand hinausschauen können. Oder dass sie Herausforderungen und Aufgaben annehmen, um nicht immer im gleichen Trott zu bleiben. Letzteres kann nämlich zu einer Betriebsblindheit führen. Und was ich immer toll finde, sind Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, Menschen, die gefördert, aber auch gefordert werden können. Ich bin nämlich auch überzeugt, dass sich Leute wohl fühlen, wenn sie gefordert werden und jeweils am Abend stolz darauf sein können, was sie geleistet haben; oder vielleicht am Morgen noch ein Problem hatten, bei dem sie nicht wussten, wie es zu lösen ist, aber am Abend hatten sie es dann gelöst. Eine Art Wachsamkeit, dass es wichtig ist, die eigenen Fähigkeiten und Fortschritte zu erkennen.
Es braucht kreative, konstruktive und kritische Mitarbeitende, das ist der Schlüssel zum Erfolg. Die einen müssen Wissen abgeben, die anderen aufnehmen können.
Samuel Schultze
CI: Was bedeuten Teamgeist und Partnerschaft für dich?
SCH: Teamgeist ist wichtig, aber Teamgeist kann nicht Leistung ersetzen. Teamgeist und eine hohe Motivation sind Grundvoraussetzungen, genauso wie Leistungsfähigkeit. Fehlende Kompetenzen kann man meiner Meinung nach nicht mit Teamgeist kompensieren, auch nicht mit Arbeitsmethoden. Sie sind zwar wesentliche Hilfsmittel, aber sie setzen immer auch Kompetenzen und Fähigkeiten voraus. Durch geschickte Zusammensetzungen der Teams kann man Kompetenzen natürlich erhöhen. Dazu braucht es Austausch sowie Lern- und Entwicklungsfähigkeit. Es braucht kreative, konstruktive und kritische Mitarbeitende, das ist der Schlüssel zum Erfolg. Die einen müssen Wissen abgeben, die anderen aufnehmen können.
Burckhardt hat ein 100%-SIA-Leistungsangebot, das man mit den Leistungen der Tochterfirmen sogar noch erweitert hat.
Samuel Schultze
CI: Unter anderem aber auch, weil man heute gar nicht mehr alles von A bis Z selbst machen könnte, auch wenn man es wollen würde?
SCH: Natürlich, denn es gibt heute eine viel stärkere Arbeitsteilung. Das mag man bedauern, denn früher war der Baumeister ein Generalist, er war auch der Architekt, heute ist der Architekt oftmals «nur» noch der Designer und nicht mehr so entscheidend, weil der Generalplaner alles unter Kontrolle hat. Diese Entwicklung ist schade, aber Architekten haben diese Entwicklung gewissermassen auch selbst zu verantworten, weil sie über die Zeit hinweg immer mehr Verantwortung abgegeben haben. Dies waren oft Dinge, die der Architekt selbst nicht so gerne mochte, wie Kosten-, Termin- oder Qualitätskontrollen. Deswegen kamen andere ins Spiel, die diese Dinge und auch die Führung übernommen haben, sodass der Architekt, wenn er nicht grad ein Stararchitekt ist, sozusagen zum Gestalter degradiert wurde.
Im Laufe meiner rund 40 Arbeitsjahre hat sich gezeigt, dass diese Spezialisierungen fortgeschritten sind und es nur noch wenige Büros gibt, die alles selbst machen, und dass viele Büros nur noch Teilsegmente anbieten können. Das ist auch zu respektieren, aber Burckhardt hatte immer den Anspruch, dass wir alles selbst machen können. Burckhardt hat ein 100%-SIA-Leistungsangebot, das man mit den Leistungen der Tochterfirmen sogar noch erweitert hat.
CI: Gibt es weitere Entwicklungsschritte von Burckhardt, die du an dieser Stelle wichtig findest?
SCH: Die Entwicklung des Architekturbüros von Martin Burckhardt bis heute ist positiv einzuschätzen. Man ist breit aufgestellt, und das verleiht der Firma eine grössere Stabilität, auch um in wirtschaftlich schwierigen Zeiten besser zu performen. Man hat immer Wege gefunden, um neue Quellen zu erschliessen und damit Gewinnaussichten zu finden und zu realisieren. Man steht stabil auf mehreren Beinen. Die Firma ist sehr gesund.
Es gab in den 1990er-Jahren durchaus Zeiten, in der das «Führen mit harter Hand», wie es beispielsweise Peter Epting tat, durchaus notwendig war, weil man sich zu dieser Zeit keine Experimente leisten konnte. Ich erwähne dies hier, weil es eine Zeit lang auch einen gewissen «Richtungsstreit» innerhalb der Firma gab: Man musste sich entscheiden, ob man sich Experimente leisten und als Büro an der Innovationsspitze mithalten wollte oder ob man eher im Windschatten die Entwicklungen neugierig beobachten sollte.
Ein anderes Thema war, wie viele Freiheiten man den Mitarbeitenden bei der Wahl der Arbeitsmittel und deren Anwendungen zugestehen mochte. Es wurde zudem viel Geld in Schulungen gesteckt, die Digitalisierung war ein grosses Thema und hat uns lange Zeit beschäftigt.
CI: Kannst du in diesem Zusammenhang noch zu den anderen Standorten in der Schweiz wie Zürich oder Bern etwas sagen?
SCH: Nach Zürich ist man gegangen, weil man dort im grössten Wirtschaftsraum der Schweiz Möglichkeiten sah, Fuss zu fassen und anspruchsvolle Architekturprojekte umzusetzen. Primär aber auch, weil man bereits einen grossen Auftrag einer Bank hatte. Das Büro in Zürich ist unter Guido Doppler dann auch schnell bis auf 60 Personen angewachsen. Zürich war sehr erfolgreich, aber immer auch sehr eigenständig unterwegs, weil das Büro sich stärker auf den Entwurf und die Planung konzentriert hat, was einerseits positiv und erfolgreich war, aber andererseits nicht unbedingt der Burckhardt-Philosophie entsprochen hat. Anfangs der Nullerjahre hat das dann zur Absetzung des damaligen Partners und Standortleiters Roger Nussbaumer geführt. Das Büro lebte lange Zeit stark vom Wettbewerbserfolg, aber in den letzten Jahren hat sich das auf einem relativ tiefen Niveau stabilisiert. Man hat sich auf die Planung spezialisiert und Bauleitungs- und Ausführungsleistungen eingekauft. Damit limitiert man das Angebot und schränkt sich ein, was die Entwicklung des Standorts Zürich betrifft.
Das Büro in Bern war eher ein «glücklicher Zufall», denn es kam durch die Insolvenz von Suter + Suter zustande. Über verschiedene Kanäle und Beziehungen konnte man in Bern die Mehrheit des Personals sowie verschiedene Auftraggeber für Burckhardt übernehmen. Ähnlich war es auch in der Westschweiz mit der tk3, der Nachfolgefirma aus der Suter + Suter AG. Auch sie konnte man übernehmen, dort hat man aber gegenüber der ThyssenKrupp AG eine Übernahmesumme bezahlt.
CI: Wie sieht es mit dem Ausland aus?
SCH: Es folgte darauf noch die «Goldgräberstimmung» in Berlin. Dort wollten wir uns an Emch+Berger, ein Ingenieurbüro, anlehnen, und dieses wiederum dachte, dass wir ihre organisatorischen Führungsdefizite kompensieren würden. Das Büro Burckhardt, Emch+Berger kam nie wirklich erfolgreich zum Fliegen. Wir hatten zwar den Auftrag für die Sanierung des Bendlerblocks, des zweiten Dienstsitzes des deutschen Verteidigungsministeriums. Wir haben aber dort Probleme bekommen, und schlussendlich war Burckhardt einfach froh, dass man die Aktien ertragslos zurückgeben konnte und dadurch mit einem «hellblauen Auge» davongekommen ist.
Die ganzen Auslandengagements waren grundsätzlich alle schwierig – ausser Martin Burckhardts Einzelprojekte, die er für die Geigy oder Sandoz weltweit realisiert hatte und die sehr erfolgreich waren. Ende der 1980er-Jahre wollte man auch in New York mit einem Umbauprojekt für die Swiss Bank Corporation (Schweizerischer Bankverein) einen Standort etablieren, gemeinsam mit Samuel Meier, der dort innerhalb der Perkins & Will-Burckhardt die Tätigkeiten von Burckhardt in den USA leitete. Aber das kam auch nicht richtig aus den Startlöchern.
Weiter gab es 2015 die Möglichkeit, ein Büro in Berlin zu kaufen, die Reiner Becker GmbH. Sie war im Bereich der Forschungs- und Hochschulbauten erfolgreich tätig, das hat uns gut ergänzt. Nach dem Weggang von Reiner Becker folgte der Aufbau einer neuen Geschäftsleitung mit Carsten Krafft und Daria Grouhi. Wolfgang Hardt kümmerte sich sehr erfolgreich um die Wiederaktivierung des Berliner Standortes – mit einer tollen Steigerung der Qualität der Projekte, auch was die Mitarbeiterqualifikation betrifft. Die Anzahl der erfolgreichen Akquisitionen, die Qualität der Mitarbeitenden und der Projekte wurden wesentlich gesteigert.
Von den restlichen internationalen Ambitionen ist nicht mehr viel übrig geblieben. Heute hat man eine realistischere und pragmatischere Betrachtung: Burckhardt gibt es in der Schweiz und in Deutschland, und man geht mit Bauherren dann punktuell ins Ausland, wenn die Gelegenheit sich ergibt.
Die Zukunft wird dennoch anspruchsvoll werden, da auch die Aufgaben an die Architekten selbst immer anspruchsvoller und komplexer werden.
Samuel Schultze
CI: Was würdest du der Firma Burckhardt für die Zukunft wünschen?
SCH: Ich wünsche mir, dass die Wahrnehmung der Firma als qualitativ hochstehendes Architekturbüro verbessert werden kann, nach aussen und nach innen. Ich wünsche mir, dass man wieder wettbewerbsfähiger wird. Ich bin überzeugt, dass die Weichen gut gestellt sind und man viele neue gute Mitarbeitende dafür gewinnen konnte. Die Zukunft wird dennoch anspruchsvoll werden, da auch die Aufgaben an die ArchitektInnen selbst immer anspruchsvoller und komplexer werden, egal ob das mit Themen wie Nachhaltigkeit, Re-Use, Umbau statt Abbrechen oder etwas anderem zusammenhängt, da hat sich in unglaublich kurzer Zeit extrem viel verändert – vor allem in Bezug darauf, was man als richtig oder falsch betrachtet. Auf solche Themen muss ein Büro wie Burckhardt sensibel und rasch reagieren können, und sie stellen gleichzeitig Herausforderungen dar.
CI: Was würdest du einer jungen Person raten, die in euer Berufsfeld einsteigen möchte?
SCH: Dass sie die Aufgaben neugierig und kreativ angeht, was eine gewisse Lernbereitschaft und einen Wissensdurst voraussetzt. Aber man sollte auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, und seine eigenen Grenzen kennen. Gut wäre auch, wenn man stets flexibel und offen bleibt, denn viele denken am Anfang nur an den Wohnungsbau, aber vielleicht gibt es einen Bereich, der besser zu einem passen würde. Wenn ich damals als junger Architekt gewusst hätte, was alles auf mich zukommen würde, hätte ich mir das alles wahrscheinlich auch nicht zugetraut und hätte es auch nicht gewagt. Zum Glück hatte damals die «Gnade des Nichtwissens» noch gewirkt.
Trotzdem sage ich immer, dass wir den schönsten Beruf haben, denn unser Beruf umfasst ein derart breites Spektrum an Themen wie nur wenige: vom Gestalten über das Konstruieren, Koordinieren bis zum Kommunizieren, wobei man als Architekt manchmal Dienstleister, manchmal Gestalter, Lehrer oder Schüler und manchmal sogar Psychologe ist. Wir haben eine grosse Verantwortung, aber genau dies macht den Beruf Architekt auch so attraktiv.
CI: Worauf bist du stolz?
SCH: Dass es mir gelungen ist, die Architektur wieder in den Vordergrund zu rücken, unter anderem, weil wir gute Architekten einstellen und ihnen kreativen Freiraum geben konnten – die Transformation von einem «Ausführungsbüro» zurück in ein Architekturbüro. Ich denke aber auch, dass ich in den personellen Dingen ein gutes Händchen hatte, indem ich viele wertvolle Mitarbeitende einstellen konnte, egal ob Architekten, Projektleiter oder Assistenzen. Sie alle haben mich unterstützt und gut ergänzt. Weiter räume ich mir auch das Herbeiführen von Klärungen auf der Partner- und Führungsebene ein, indem ich einige wichtige Neuerungen einführen und damit Probleme lösen konnte. Und natürlich auch einen wertschätzenden Umgang miteinander, der auf Offenheit und Transparenz basiert. Und auf das Gewichten von kultureller Teilnahme und des Zugangs zur Kultur für unsere Mitarbeitenden.
CI: Wenn du jetzt nochmals, nach allem, was du erlebt hast, an den Anfangspunkt zum Telefonat mit Pierre de Meuron zurückkehren könntest und er dir eine Stelle anbieten würde, wie würdest du dich jetzt entscheiden?
SCH: Ich denke, dass ich trotzdem bei Burckhardt wäre, weil ich bei Burckhardt ein ideales Umfeld für mich als Person gefunden habe. Für mich war es einfach stimmig, weil alles wie auf mich zugeschnitten war. Ich betrachte mich als Generalisten. Als jemanden, der zwar über ein breites Spektrum verfügt, aber nicht sehr vertieftes Wissen in Teilbereichen besitzt. Ich bin beispielsweise ein guter Beurteiler von Architektur, aber nicht unbedingt ein sehr guter Entwerfer. Ich bin jemand, der alles zusammenbringen und gut moderieren und übersetzen kann, wenn Leute buchstäblich eine «andere Sprache» sprechen.
Ich kann architektonische und betriebswirtschaftliche Aspekte auf gleicher Ebene behandeln und ausbalancieren, was ich meiner Meinung nach gut für Burckhardt einsetzen konnte. Und all diese Dinge machen mich aus, und deshalb kann ich nicht genau sagen, ob ich bei Herzog & de Meuron glücklich geworden wäre. Ich denke aber, dass ich bei Burckhardt eigenständiger sein konnte und die Aufgaben besser auf mich zugeschnitten waren.
Ich kann also sagen, dass ich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war, und alles nahm einen natürlichen Lauf, nichts war gesteuert oder forciert, sondern hat sich beinahe selbstverständlich ergeben. Die Firma hat mich wahrscheinlich genau dann gebraucht, und umgekehrt. Und jetzt braucht sie mich nicht mehr. Ich bin überzeugt, dass jede Ära ihre Schwerpunkte besitzt und ihre guten und schlechten Zeiten und Seiten hat. Diejenigen in der Geschichte Burckhardt sind ja auch ein Abbild von den Qualitäten der einzelnen Führungspersonen und ihrer Prioritäten. Sie waren zu ihren Zeiten jeweils richtig und wichtig für Burckhardt.
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