LB Schön, dass ihr da seid. Eben habe ich noch mit meiner Mutter telefoniert und ihr erzählt, dass ihr beide heute für das Interview vorbeikommen würdet, und daraufhin meinte sie, dass sie dann auch noch was dazu zu sagen hätte.
SCH Wir würden uns natürlich freuen, wenn wir auch ein Gespräch mit ihr führen dürften. Wir haben uns schon sehr gefreut über deine Zusage, denn ich bin sozusagen der letzte Vertreter, der noch einen nahen Bezug zur Historie Burckhardts hat und die Protagonisten von damals kennt. Da ich selbst bereits 1985 zu Burckhardt gestossen bin, habe ich auch noch viele der wichtigen Projekte mitbekommen, vor allem jene in der Industrie. Wir stellen auch heute noch fest, dass diese Projekte immer noch eine unglaubliche Ausstrahlung haben. Aber auch die Themen, die heute als relevant oder selbstverständlich angesehen werden, wie beispielsweise Flexibilität oder Stadtbegrünung, haben damals deinen Vater schon beschäftigt, oder er hat sie durch seine Arbeit massgeblich mitgeprägt.
LB Das ist bestimmt so. Ich selbst kann euch wahrscheinlich mehr «vom Familientisch aus» antworten als zur Architektur selbst, doch ich werde es versuchen.
SCH Natürlich; uns geht es auch nicht darum, mit dir nur über Architektur zu reden, sondern über Martin Burckhardt, den ich selbst gar nicht mehr richtig erlebt habe.
Er war gewiss immer mit viel Emotionen bei der Sache, egal ob im Privaten oder im Beruflichen.
Leonhard Burckhardt
CI War Martin Burckhardt privat und beruflich denn dieselbe Person?
LB Das ist eine gute Frage und für mich als Sohn schwierig zu beantworten: Er war gewiss immer mit viel Emotionen bei der Sache, egal ob im Privaten oder im Beruflichen. Er war ein sehr gefühlsbetonter Mensch, manchmal auch sogar ein wenig pathetisch, etwa wenn er wieder einmal völlig aufgebracht oder euphorisiert nach Hause gekommen ist. Deswegen würde ich behaupten, dass der Unterschied nicht so gross sein konnte.
CI Welche Projekte hast du denn selbst als Sohn von Martin Burckhardt als einschneidend erlebt?
LB Ich habe natürlich viele Projekte mitbekommen und auch verstanden, welche meinem Vater besonders wichtig waren. Als Erstes kommt mir das Vivarium des Basler Zoos in den Sinn, das auch in der Öffentlichkeit eine gewisse Präsenz hat. Die wenigsten, die es besuchen, wissen, dass es von meinem Vater ist. Und dieser Bau hat heute noch Bestand.
CI Auf jeden Fall, denn auch bei den bisherigen Interviewpartnern wurde das Vivarium oft genannt.
LB Natürlich ist auch der BIZ-Turm noch zu erwähnen, der auf jeden Fall ikonisch ist, aber für die Öffentlichkeit nicht im selben Masse zugänglich wie ein Vivarium. Ich selbst war beispielsweise nie im BIZ-Turm drin, obwohl es mich immer interessiert hätte.
SCH Jetzt ist der BIZ-Turm natürlich auch nicht mehr im Originalzustand, unter anderem auch, weil Herzog & de Meuron den Innenausbau neu gemacht haben. Aber zurück zu Martin Burckhardt – du meintest vorhin, dass er manchmal regelrecht euphorisiert von der Arbeit nach Hause gekommen sei.
LB Ja, er kam nach Hause und hat von den Bauten, die ihn bewegten, und viel vom Büro erzählt – wenn er denn mal zum Mittagessen daheim war. War das der Fall, dann mit grossem Engagement. Er hat die Rolle des Patrons gelebt. Nicht diejenige des Managers, sondern des Patrons, der auch eine emotionale Beziehung zu seinen Mitarbeitenden pflegte, obwohl ein Unternehmen zu führen ja nicht immer einfach ist. Guido Doppler spielte dabei eine wichtige Rolle für meinen Vater, denn er war der härtere Unternehmer.
CI Jetzt hast du schon viele gute Beschreibungen zu deinem Vater abgegeben. Wenn du den Satz noch für uns beenden könntest: «Martin Heinrich Burckhardt war ...»
LB «... ein grosszügiger, emotionaler und intelligenter Basler.» Er war auch einer der humorvollsten Menschen, die ich je erlebt habe. Man sieht dies in seinen Texten und Zeichnungen, und er konnte auch gut über sich selbst lachen ... wenn es die Situation zuliess. Der Humor war ein wichtiger Aspekt in seinem Leben und hat sicherlich auch im Umgang mit seinen Mitarbeitenden und Kunden geholfen.
SCH Zum Stichwort «grosszügig» möchte ich anmerken, dass man das noch heute spüren kann. Diese Firma war schon immer und ist heute noch grosszügig. Das ist bestimmt ein Aspekt, der diese Firma ausmacht und den Martin Burckhardt vorgelebt hat, indem er beispielsweise auch die Brunelleschi-Stiftung eingeführt hatte. Sie ist heute noch ein sinnvolles Instrument, um Härtefälle bei Mitarbeitenden betreffend soziale Vorsorge aufzufangen. Aber auch das emotional Intelligente passt für mich in das Bild, das ich von Martin Burckhardt habe. Und dann kommt noch der kulturelle, historische Aspekt hinzu.
LB Klar, das Kulturelle und das Soziale wurden ihm mit in die Wiege gelegt, und auch sein «Baslertum» würde ich auf jeden Fall unterstreichen. Er war eine starke Persönlichkeit, aber für sein Umfeld nicht immer einfach. Hatte er beispielsweise eine Idee, die er für glänzend hielt, liess er sich nur sehr schwer davon abbringen. Er konnte sich aber auch sehr gut ausdrücken, nicht nur sprachlich, sondern auch mit seinen Zeichnungen. Zeichnen konnte er wunderbar. Schliesslich war ihm wichtig, dass er aus dem «Basler Daig» kam, einer Elite, die es so heute zwar nicht mehr wirklich gibt, aber damals war er bestimmt eine der schillerndsten Figuren darin.
CI Was denkst du, welche Bedeutung hatten die Begriffe Teamgeist und Partnerschaft für ihn?
LB Die waren ihm auf jeden Fall sehr wichtig. Der Austausch und das Voneinanderlernen und das Zueinanderschauen. Ob er ein Teamplayer war, das weiss ich nicht. Ich fürchte, eher nicht. Er war ein Patron, und aus dieser Haltung heraus hat er agiert. Ich glaube nicht, dass er damals ein Teammeeting einberufen, sich gemeinsam hingesetzt und Dinge entschieden hat. Denn eine gewisse Hierarchie war schon vorhanden, es hatte halt jeder seine Rolle.
SCH Die Firma hat ja auch von diesen unterschiedlichen Charakteren gelebt. Und ich bin auch der Überzeugung, dass es das braucht, um sich zu entwickeln.
CI Was waren Martin Burckhardts Stärken?
LB Er konnte Probleme gut analysieren sowie Verbindungen und Zusammenhänge schaffen. Und eben diese Grosszügigkeit, die sich nicht nur im Materiellen abbildete, sondern auch im Geistigen. Meinem Vater war zwar immer bewusst, dass das Geschäft Gewinn abwerfen muss, aber das war nie das, was ihn bewegt hat. Er forderte jedoch immer Engagement von seinem Umfeld. Auch bei mir selbst hat er schnell gemerkt, dass ich bestimmt kein Architekt werden würde. Das war dann auch keine Sekunde lang eine Diskussion, er liess mich meinen eigenen Weg gehen, aber nichtsdestotrotz forderte er immer Engagement von seinen Mitmenschen, auch von seiner Familie. Er setzte voraus, dass man eine Leidenschaft für etwas entwickelte. Er war ja auch politisch aktiv, und ich ebenso, aber ich habe eine andere Richtung eingeschlagen, was jedoch nur kurzfristig problematisch war. Mein Vater hat sich eigentlich nur darüber aufgeregt, wenn Leute nichts oder seiner Meinung nach zu wenig gemacht haben. Und nicht andersrum.
Er versuchte, neben dem reinen Bauen und der Ästhetik auch immer alle weiteren Aspekte einzubeziehen: den Kontext, die Dauerhaftigkeit und die Wirkung. Das war wichtig für ihn.
Leonhard Burckhardt
CI Weisst du, worauf er stolz war?
LB Ja, ganz klar auf seine Architektur. Die war neben seiner Familie auf jeden Fall sein wichtigster Antrieb.
CI Was bedeutete Architektur für ihn?
LB Sie musste in erster Linie funktionieren und auf hohem Niveau das liefern, was der Bauherr möchte. Aber sie sollte sich auch in die Umgebung integrieren lassen. Im besten Fall historisch verankert sein und in sich aufnehmen, was sie umgibt – etwas, das heute fast selbstverständlich ist, aber damals war das zum Teil noch anders. Er versuchte, neben dem reinen Bauen und der Ästhetik auch immer alle weiteren Aspekte einzubeziehen: den Kontext, die Dauerhaftigkeit und die Wirkung. Das war wichtig für ihn. Einmal musste er ein Projekt für Ciba-Geigy bauen, ein Bürohaus neben dem Badischen Bahnhof. Da hatte er zum Beispiel die Idee, ein riesiges Aquarium einzubauen, damit die Mitarbeitenden Freude haben und das jeden Tag auf dem Weg in die Kantine sehen können. Ein kleines Beispiel dafür, dass für ihn immer noch etwas ergänzt werden musste, was über das rein Funktionelle hinausgeht.
Es ging ihm darum, immer bessere Lösungen zu finden, und nicht einfach einen Bau hinzustellen, der nur dem Bauherrn entspricht.
Leonhard Burckhardt
CI Heute ist ja auch das holistische Bauen ein Thema.
LB Ja, das bezeichnet genau die Richtung, die mein Vater damals schon eingeschlagen hat. Er hatte ja an der Fachhochschule nicht Architektur doziert, sondern Städtebau für Ingenieure. Das hat ihm schon sehr entsprochen, auch das ständige Hinterfragen, was man als Architekt zum Städtebau beitragen könnte. Es ging ihm darum, immer bessere Lösungen zu finden, und nicht einfach einen Bau hinzustellen, der nur dem Bauherrn entspricht.
SCH Was in den Dokumenten immer ein wenig zu kurz kommt, sind die Projekte in Amerika. Hat Martin Burckhardt die alle selbst umgesetzt, weisst du das?
LB Das weiss ich nicht genau. Ich habe nur eine einzige Reise in die USA gemacht, konnte damals aber bei zahlreichen Personen unterkommen, für die mein Vater gebaut hat und die entweder als Partner oder Bauherren involviert waren. Ich habe jedenfalls auf dieser Amerika-Reise zahlreiche Leute getroffen, die alle zu mir meinten, dass diese Häuser nach all dieser Zeit immer noch taugen würden und dass sie Freude daran hätten. Vielleicht haben sie das auch nur gesagt, weil ich der Sohn war, aber das war schön zu hören. Und ich glaube trotzdem, dass da was Wahres dran ist, denn mein Vater hat auch überall, wo er gewesen war, diese vielen Freundschaften und nachhaltige Beziehungen gepflegt. Er konnte immer gut zwischen der privaten und professionellen Ebene switchen. Und er reiste nicht einfach nach Washington, Nigeria, Australien oder nach Berlin, nur um dort zu bauen, sondern er wollte auch immer etwas über die Länder, Menschen und Orte erfahren, über ihre Kultur, Landschaft und aktuelle Situation. Es ging immer alles auch über das rein Berufliche und Wirtschaftliche hinaus. Basel war immer der Bezugspunkt für meinen Vater und auch für die Firma, Basel war der Ausgangspunkt und ist bis heute der Hauptsitz von Burckhardt geblieben.
CI Welche Werte stehen für Burckhardt?
LB Qualität. Qualität ging vor Geld. Natürlich musste man Geld verdienen und natürlich kommt der Kunde zuerst, aber man versucht es so zu gestalten, dass der Bauherr gewisse Qualitäten akzeptiert, für die die Firma einsteht. Und auch Beziehungen – Nähe, Akzeptanz und Wertschätzung waren für meinen Vater wichtig. Auf menschlicher Ebene gut miteinander auskommen, dabei mussten aber natürlich auch die Leistungen stimmen. Er hat auch oft gesagt: «Wir sind vielleicht ein teures Architekturbüro, aber unsere Leistung stimmt und ist beständig.»
SCH Das, was du erwähnt hast, dass der Bauherr Kunde sei, das stimmt natürlich, klingt aber auch immer ein wenig nach Dienstleistung, und ein Architekt sieht sich selbst ungerne als Dienstleister.
LB Ich denke aber schon, dass für meinen Vater der Wunsch des Kunden beziehungsweise des Auftraggebers im Vordergrund stand und dass er möglichst gute Qualität liefern wollte. Dazu fällt mir die Geschichte des Hausbaus für einen guten Freund und dessen zweite Frau im Leimental ein. Da hat mein Vater auch einfach möglichst gut ausgeführt, was gewünscht war. Es wurde ein schönes Haus, doch mit dem, was sie am Ende daraus gemacht haben, war er alles andere als zufrieden und hat oft darüber gewettert.
SCH Martin Burckhardt konnte bei Menschen immer grosse Wirkungen erzielen, aber wenn es nicht geklappt hat, wurde es manchmal auch schwierig, oder?
LB Das glaube ich auch. Er konnte dann schon beleidigt sein. Denn er war eindeutig empfindlich. Manchmal hatte er sogar den Eindruck, er würde als Architekt nicht genug geschätzt.
SCH In der Schweiz sind grosse Architekturbüros ja per se nicht so beliebt, bzw. wenn man zum Beispiel für die grossen Player wie die Pharma arbeitet. Da gefällt in der Schweiz eher das kleine feine Atelier, in dem alle selbstlos arbeiten und noch härter für einen schönen Kücheneinbau designen. Deswegen bekommst du als grosses Büro schneller mal eine eher negative Etikette verpasst. Das ist im Ausland ganz anders, schon wenn man nur rüber nach Deutschland schaut, dort fällt diese negative Konnotation grosser Architekturbüros weg.
LB Das war schon damals sehr spürbar. Und als dann in den 1990er-Jahren die grossen Stararchitekten aufkamen, wie Herzog & de Meuron und dergleichen, war mein Vater zwar schon nicht mehr aktiv, aber auch er hatte den Eindruck, dass diese Grossen ganz andere Voraussetzungen hätten, neu auch mit Computer natürlich. Dementsprechend wusste er am Anfang auch nicht richtig zu schätzen, was die machten. Aber mit der Zeit hat er gemerkt, dass die wirklich was können. Vielleicht war er zuerst auch einfach ein wenig neidisch.
SCH Apropos Herzog & de Meuron: Im Nordspitz des Dreispitz gibt es ja jetzt diese drei Türme – wusstest du, dass dein Vater da auch einmal ein Hochhaus bauen wollte? Nach seinem Weggang bei uns wollte er zusammen mit Paul Trefzger von der Migros Genossenschaft ein Hochhaus und einen Freiraum namens «Espace» auf dem Dreispitz schaffen. An diesem Beispiel sieht man auch wieder schön, dass Martin Burckhardt einen visionären Charakter hatte.
LB Ja, das stimmt, er hatte viele Ideen, umgesetzte und nicht umgesetzte.
SCH Was denkst du, wie würde er aufnehmen, wenn er erfahren würde, dass viele seiner wichtigen Bauten heute nicht mehr stehen? Wie zum Beispiel das Biozentrum, das Hochhaus gegenüber vom Badischen Bahnhof, oder dass mit dem Schoren-Gebäude das erste Grossraumbüro der Schweiz abgebrochen wurde? Das sind ja nicht Bauten, die abgebrochen wurden, weil sie schlecht waren, sondern weil deren Funktion und Nutzen nicht mehr nachgefragt waren oder sie irgendwann am «falschen Ort» standen.
LB Ich kann nur spekulieren, aber es täte ihm bestimmt weh, und wahrscheinlich könnte er das auch nicht ganz gelassen hinnehmen, so wie er tickte. Aber gleichzeitig war er auch einer, der verstand, dass Dinge weitergehen und sich entwickeln müssen. Beispielsweise würde er vielleicht den Bau der Roche-Türme in Basel verstehen, weil die Pharmaindustrie wichtig für die Stadt ist. Aber womit er bestimmt Mühe hätte, ist der Ersatz des Spitals von Suter + Suter. Das war auch derjenige Bau, der ihm schon damals weh tat, also dass der so schlecht umgesetzt wurde und so prominent und hässlich mitten in der Stadt stand. Dieser Bau wurde so oft wie kein anderer am Familientisch besprochen. Und nun, da ein urbanistisch noch unglücklicherer Bau folgen soll – das würde ihn schon traurig machen.
CI Wie sehr hat ihn das alles nach seinem Arbeitsleben noch beschäftigt?
LB Er hatte weiterhin sein Büro und ist jeden Tag dorthin gepilgert, solange es die Gesundheit noch erlaubte, um sich mit politischen, städtebaulichen und architektonischen Themen zu befassen. Das ist sein Leben geblieben. Eigentlich hatte er sich vorgestellt, dass er nach seinem Rückzug sein Leben mit Zeichnen und Reisen verbringen würde, aber das ging leider nicht, weil seine Augen es nicht mehr zugelassen haben. Das Nachdenken über die Architektur ist geblieben. Zusammen mit meiner Mutter war er auch eine Figur, die in der Basler Kunstwelt eine wesentliche Rolle gespielt hat mit einem grossen Sinn für Qualität, und das habe ich auch immer bewundert.
CI Wovon hat Martin Burckhardt geträumt?
LB Von Basel als Lebenszentrum, das lebendig und witzig ist. Eine Stadt, die sich «gesund» weiterentwickeln kann, wie er immer so schön sagte.
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